3 Wochen in Sierra Leone und Liberia
Wir haben uns in Sierra Leone und Liberia sehr wohl gefühlt. Dass die Länder englischsprachig sind, hat es uns auch einfacher gemacht. Mit dem Klima allerdings tun wir uns schwer. Die Luft steht, es ist schwül, feucht, heiß. Tag und Nacht. Wir sind im tropischen Regenwald angekommen und sammeln Erfahrungen bei einigen Wanderungen. Die Pfade sind eher dunkel, der Bewuchs dicht und das Tierleben findet weit weg in der Höhe statt. Trotzdem spannend.
Wir hatten die Freude, einige sehr nette Menschen kennen zu lernen und etliche interessante Gespräche führen zu können. Sei es mit dem Vice-Embassador von Deutschland in Sierra Leone oder der schottisch-sierra-leonischen Betreiberin unseres Domizils südlich von Freetown. Sei es mit dem Onkel unseres amerikanischen Freundes und seinen anderen Gästen in Bo oder einem libanesischen Restaurant-Betreiber in Monrovia.
Beide Länder sind arm, vorhandenes Vermögen wohl eher in der Hand weniger. Das BIP zeigt das deutlich, auch wenn wir die Orientierung an Wachstum persönlich als nicht mehr zeitgemäß empfinden und Kriterien wie Bildung, Gesundheitsvorsorge, Arbeitsplätze, Zufriedenheit vernachlässigt werden. Trotzdem hier Zahlen aus 2021: Liberia 3,5; Sierra Leone 4,2; Gambia 2,0; Senegal 27,6; Nigeria 441,4; Deutschland 4.225,9.
In beiden Ländern gab es in den 90ern längere Phasen des Bürgerkriegs. In Gesprächen mit Erwachsenen sind die Kriege noch immer von hoher Relevanz und persönlicher Bezugspunkt. Es gab jeweils geschätzte 150.000 bis 250.000 Tote und unzählige Kindersoldaten. Diese Kinder sind heute Mitte 30 / 40 und - so wissen wir es zumindest aus Sierra Leone - oft bei Militär und Polizei beschäftigt bzw. bekommen vom Staat ein Motorrad für Taxi-Dienste subventioniert. Drogen und Traumata gehen Hand in Hand und sind ein aktuelles Problem.
In beiden Ländern ist jeglicher Aufschwung nach den Kriegen von Ebola zunichte gemacht worden. Erst 2016 wurden die Länder als Ebola-frei deklariert und 2020 kam Corona.
Staatsbedienstete werden schlecht und oft längere Phasen garnicht bezahlt, was der Korruption Vorschub leistet. Denn irgendwo muss das Geld ja herkommen, um am nächsten Tag Essen für die Familie zu kaufen. Wir sind bislang um Bestechungsgelder herum gekommen, sehen aber, dass Einheimische regelmäßig bei Kontrollen zahlen. Und irgendwie entwickelt sich bei uns ein gewisses Verständnis für die Lage.
In einem unterscheiden sich die beiden Länder allerdings grundlegend: Liberia entstand auf Grund der Repatriierung freigelassener amerikanischer Sklaven. Der amerikanische Einfluss ist im Alltag omnipräsent, die eigentliche Währung ist der US-Dollar. Liberia ist selbst für uns teuer. Wo allerdings das ganze Geld der NGO’s bleibt, fragt man sich …
In beiden Ländern sind uns die Menschen trotz Armut ausgesprochen freundlich begegnet. In Liberia sind Stimmung und Lautstärke manchmal regelrecht überschwänglich. Allerdings sehen wir hier – wie auch schon in anderen Ländern – viele Menschen den ganzen Tag herumsitzen. Vorhandene Arbeit wird auf viele verteilt (Guides, Security, Autowäsche, Parkeinweiser, …), für die Einnahmen gibt es dann eine Verteilerkette.
Wenn wir Kinde beobachten, wie sie uns beobachten und wie ein Schwamm alles aufsaugen, was wir tun und benutzen, wird immer wieder deutlich, was für ein ungenutztes Potential, was für Ressourcen hier schlummern, nicht gefördert und nicht genutzt. Hier werden keine Spiele gespielt, keine kreativen und kognitiven Fähigkeiten im Kindesalter gefördert, keine Feinmotorik trainiert – schon kleinste Kinder schleppen Wasser, Wäsche, Holz …
Wir fragen uns allerdings auch immer wieder, ob Bildung allein die afrikanischen Gesellschaften voranbringen wird.
Die Menschen kämpfen täglich ums Essen und Überleben. Was morgen ist oder gestern war, spielt offenbar keine Rolle. Alter, Entfernungen, Zeitdauer sind nicht wichtig, Absprachen hinsichtlich des Starts einer Wanderung oder den Kosten für eine Stellplatz unverbindlich. Wir müssen ständig neu verhandeln.
Vielleicht ist das einer der grundlegenden kulturellen Unterschiede. Es geht hier ausschließlich um das Heute und weil das Heute unwägbar ist, gilt auch für alles andere ein hohes Maß an Unverbindlichkeit.
Ach, übrigens: Weihnachten haben wir sehr nett südlich von Freetown verbracht und den Jahreswechsel auf Tiwai Island im Regenwald verschlafen.