Samstag 07.05.2016
Von Shkodra nach Theth
Wir haben heute die legendäre Strecke nach Theth vor uns. Wir haben beschlossen, zunächst die südlich gelegene Strecke in das Theth-Tal zu nehmen. Zwar soll man die Theth-Runde auch an einem Tag bewältigen können, doch im Hinblick auf Markus Rücken wollen wir uns nicht zu sehr unter Druck setzen und fahren mit Gepäck, so dass wir nicht gezwungen sind, wieder bis nach Shkodra zurück zu fahren.
Unterwegs nehmen wir in Drisht, in einem schön gelegenen Restaurant/Bar, einen Café zu uns. Ein junger Albaner, der mit einem alten ziemlich qualmenden geliehenen Landrover auch nach Theth unterwegs ist, und das Lokal vor uns verlässt, spricht uns an und lädt uns zu unserem Café ein. Einer der jungen Männer, die uns bedienen, spricht uns dann noch in Deutsch an, das er recht gut beherrscht. Er erzählt uns, dass auch er auf Asyl in Deutschland war und sogar ein halbes Jahr lang eine deutsche Schule besucht hat.
Bis nach Prekal haben wir noch asphaltierte Straße. Ab da fängt das Abenteuer offroad wieder an. Schon bald überholen wir den schwarz qualmenden Landrover unseres neuen Bekannten, den wir dann aber leider nicht mehr wieder treffen werden.
Wir fahren ein Tal entlang, das an einer Stelle von einer Hängebrücke überspannt wird, die wir uns näher anschauen. Der Weg ist ziemlich holprig. Der Untergrund ist hier felsig und neben manchnal ziemlich hohen Absätzen liegen unterschiedlich große Brocken umher, so dass man schon recht aufmerksam bei Fahren sein muss.
Nach einer Weile beginnt sich die Strecke dann den Berg hinauf zu schlängeln. Das ist schon eine rechte Herausforderung. Man darf nie zu langsam werden, muss aber dabei aufpassen, nicht zu heftige Schläge auf das Fahrwerk einzukassieren. Für Markus kommt noch hinzu, dass er nicht im Stehen fahren kann, da das aufrichten für ihn noch zu schmerzhaft ist. Glücklicherweise spielt wenigstens das Wetter einigermassen mit und wir haben keinen Regen. Sonst würde das hier zu einer ziemlichen Prüfung werden.
Nach einer ganzen Weile kommen uns plötzlich (zumindest für mich, Markus hatte sie schon vorher gesehen) zwei Motorradfahrer entgegen. Die Überraschung und dann noch die Aufgabe, auf dem felsigen Untergrund anzuhalten überfordern mich eindeutig und schon verbeugen sich meine GS und ich vor den beiden österreichischen Andreas. Der eine von beiden hilft mir sofort auf und nachdem wir uns ein wenig über die Strecke ausgetauscht haben, machen wir uns auf den jeweiligen Weg. Die Beiden haben kein Gepäck dabei und machen die Runde an einem Tag.
Eine Weile später treffen wir noch einen jungen Polen, der in Deutschland arbeitet, und mit einer leichten KTM unterwegs ist. Er ist in ziemlicher Sorge, dass ihm das Benzin ausgehen könnte. Dank des Reservekanisters von Markus und gut gefüllter Tanks in unseren Maschinen können wir ihm da aushelfen. Glück gehabt, denn gerade hier ist die Tankstellendichte im Gegensatz zu sonst doch eher dünn!
Bald später kommen wir an eine kleine Gaststätte mit angeschlossenem Camping. Ausserdem scheint hier auch die offizielle Bushaltestelle zu sein. Nun, das sollte man sich weniger wie eine Bushaltestelle in Hamburg vorstellen. Es steht ein Daimler der Sprinterklasse mit hohem Radstand hier, in dem und um den herum vereinzelte Leute warten, bis es weitergeht. Ein bisschen wie bei einer Postkutschenstation im Wilden Westen. Die Bar/das Kiosk/das Restaurant, oder nennen wir es einfach die Station bietet uns kleine süße Leckereien, von denen wir gerade nach den heftigen Anstrengungen dieser Strecke einige ganz gut vertragen können.
Leider zeigt sich hier auch mal wieder wie schockierend sorglos die Albaner mit ihrer Umwelt umgehen. Keine zwei Meter von der Station entfernt, erhebt sich ein mehrere Quadratmeter großer Müllhaufen mit den einfach hingeschmissenen Verpackungsresten und anderem Müll. Mülltrennung gibt es hier definitiv nicht und wenn der Müll stört, wird er vermutlich einfach angezündet. Dann will man allerdings auch nicht in der Nähe sein!
Sehr lange halten wir uns nicht auf, denn wir haben vermutlich gerade mal die Hälfte der Strecke hinter uns. Und wer weiß, was noch alles vor uns liegt?
Es geht zwischendurch nun auch mal wieder abwärts. Das wird teilweise zu einer richtigen Herausforderung, da es auch matschige Stellen gibt. Einmal rutscht mein blockierendes Hinterrad (ABS habe ich ausgeschaltet) über einen Meter seitlich weg, bevor ich die Maschine wieder auffangen kann. Aber wir halten uns ziemlich gut, finde ich, besonders Markus, der sich ja bisher noch gar nicht hingelegt hat.
Bereits an Nachmittag und etwa nach 2/3 der gefahrenen Strecke kommen uns 2 Slowenen mit BMW Boxern entgegen. Der eine mit einer HP2, der andere mit einer GS. Beide mit normaler Straßenbereifung. Vor allem Mirko erzählt uns wortreich, was da noch alles auf uns zukommen wird. Mir scheint das irgendwie nicht so ganz überzeugend, da ich mir kaum vorstellen kann, dass der Weg noch schlechter werden kann, höchstens es wird komplett schlammig und danach sehen die Beiden nicht aus. Nun gut, wir verabschieden uns von den Beiden, auf die ich dann am nächsten Tag im Internet stossen werde.
Tatsächlich wird der Weg nun bald eher wieder besser. Oder vielleicht sind wir einfach nur gewöhnter daran. Zum Teil fahren wir sogar ganz guten Schotterweg, der in einen Felshang eingelassen ist. Das Fahren einer der beiden Spurrinnen ist eher unproblematisch. Dennoch bleibt plötzlich Markus, der hinter mir fährt, eine ganze Zeit lang aus. Beunruhigt wende ich und fahre zurück. Ufff. Da steht er neben seinem quer zum Schotterweg liegenden Moped. Zumindest scheint ihm nichts passiert zu sein! Der Adrenalinspiegel kann sich wieder absenken.
Markus war mit seinem rechten Koffer schlicht und einfach am Fels hängen geblieben. Bei Vorbeifahren an der Stelle hatte ich auch schon daran gedacht, dass ich da ein bisschen aufpassen muss. Aber bei mir sind Lenker und Koffer etwa gleich breit, so dass ich eine ganz gute Einschätzung habe. Bei Markus stehen die Koffer aber ein bisschen weiter raus und dieses Bisschen war ein wenig zu viel. Glücklicherweise ist ausser einer Beule am Koffer nichts weiter passiert, da Markus langsam unterwegs war. Noch mal gut gegangen!
Natürlich waren gerade jetzt von der einen Seite ein voll besetztes 4WD-Fahrzeug und von der anderen Seite ein leichtes Moped mit zwei Mann Besatzung dazu gekommen. Markus und ich haben offensichtlich Gefallen daran gefunden, uns vor Publikum hinzulegen.
Bis nach Theth ist nun nicht mehr sehr weit und bald haben wir es erreicht. Am Vorabend habe ich noch eine Unterkunft auf booking.com herausgesucht, die ganz gut klang. Wir müssen mehrmals nach dieser Unterkunft fragen, denn mit Wegweisern haben die Leute im Tal es nicht so wirklich. Aber soziale Interaktion ist ja auch nett.
Es geht nun schon wieder aus dem Tal bergaufwärts und eigentlich wollen wir für heute nur noch ankommen und eine Dusche nehmen. Endlich kommt das Vellezrit Guri in Sicht. Hmmh, da sind gerade Bauarbeiten in Gange. Sieht aus wie ne Baustelle. Einer der Leute da winkt uns zu sich, der andere winkt eher ab. Was jetzt? Nun, wir fahren mal hin und schauen, was sich ergibt.
Die Verständigung funktioniert nur mäßig. Ein junger Bauarbeiterhelfer versteht ein paar Brocken Englisch, aber so richtig übersetzen kann er nicht. Aber es ist ja nicht das erst Mal, dass ein Mobiltelefon die Vielfalt seiner Einsatzmöglichkeiten im albanischen Tourismus beweist. Eine Nummer wird gewählt und nach ein paar albanischen Sätzen hab ich wieder mal ein Telefon am Ohr und muss versuchen, das Englisch zu verstehen, das mir daraus abgehackt durch Übertragungsstörungen entgegenschallt. Das Englisch von Jimmy, mit dem ich telefoniere, ist - abgesehen von den Übetragungsproblemen - recht gut verständlich. Er erklärt mir, dass zwar gerade an dem Gästehaus gebaut wird, wir aber trotzdem Zimmer haben können, zum Preis von 15 Euro pro Person inklusive Frühstück. Ich weise darauf hin, dass es anscheinend nur recht schmale Doppelbetten gibt und Markus und ich noch nicht so weit seien, uns das Bett zu teilen. Kein Problen, wir bekommen jeder ein Zimmer, zum gleichen Preis. Und wenn irgendwas ist, dann soll ich nach Jimmy fragen und ausserdem wird er später auch noch vorbeikommen.
Nun gut, wir wollen auch nicht wirklich noch weitersuchen. Also bleiben wir. Der Gastgeber fegt und wischt noch mal durch die Zimmer, die dadurch wenigstens ein wenig sauberer werden. Nach einer halben Stunde können wir dann auch die Dusche benutzen, denn das heiße Wasser muss natürlich auch erst mal angestellt werden.
Der Ausblick vom Balkon beziehungsweise vom Grundstück aus ist toll, Bergpanorama pur. Beinahe wie bei Markus zuhause. Nur fehlt die funktionierende Heizung wie in Markus Heim. Es wird hier in den Bergen doch noch ganz schön kalt und so verkriechen wir uns jeweils unter die Decke, um uns ein wenig von den Strapazen zu entspannen.
Mit Jimmy hatte ich auch besprochen, dass wir hier etwas zu Essen bekommen. Als ich irgendwann nach unten in den Gastraum gehe, treffe ich Markus zwischen unserem Bauarbeitertrupp vor einem Elektroradiator sitzend an. Mir wir ebenfalls ein Platz vor dem Radiator angeboten. Und wir kommunizieren mit den Anwesenden so mehr oder weniger leidlich auf Englisch. Zumindest bekommen wir einen Café. Das ist doch schon mal was.
Es ist eine interessante Athmosphäre. Es handelt sich wohl um eine Café, das einzige derzeit geöffnete, wie uns Jimmy später bestätigt. Das erklärt auch die Abwesenheit jeglicher Frauen. Auch eine durch Fenster einsehbare Küche gibt es neben dem Gastraum. Das lässt meine Hoffnung, dass wir hier etwas zu Essen bekommen, nicht versiegen.
Irgendwann kommt dann auch Jimmy wie versprochen. Jimmy ist ein Albaner, der kurz nach den Zusammenbruch der kommunistischen Regierung in den 90ern ins Exil in die USA geflohen war und dort 22 Jahre lang lebte. Vor 3-4 Jahren sei er zurückgekommen in das Tal, aus dem er stamme. Hier leben seine Eltern und sie seien 5 Brüder. Der eine führt das Gästehaus und ist unser Gastgeber. Er selbst, Jimmy, versuche hier im Tal einen Infopoint einzurichten, über den er Informationen über das Tal und die Freizeit- und Unterkunftsmöglichkeiten verbreiten möchte und ausserdem versucht er die Leute, die im Tal wohnen, darüber aufzuklären, welche Anforderungen ein Tourist aus einer entwickelten Industrienation stellt, wenn er hierherkommt. Zum Beispiel will ein Tourist, der die Natur sucht, hier keinen achtlos in die Gegend geschmissenen Abfall sehen. Aber Jimmy räumt selbst ein, dass er bei dieser Mission noch recht erfolglos ist. Wenn er sich, wie mit uns, mit Touristen unterhält, sagen die Leute hier oben im Scherz nur, "jetzt lügt Jimmy wieder", aber sie verstehen noch nicht wirklich, was das Tourismusgeschäft wirklich ausmacht.
Es soll über den gesamten Abend ein sehr angeregtes Gespräch mit Jimmy werden, das uns viele neue und tiefere Einsichten in die Situation in Albanien gibt.
Jimmys Bruder macht sich irgendwann daran, uns ein leckere Abendessen zu bereiten. So geht ein Wahnsinnstag voller Eindrücke zu Ende. Ein Highlight unserer gemeinsamen Reise.