Dienstag 03.05.2016
Von Bajram Curr nach Shkodra
Nach dem Frühstück kläre ich mit dem Hotel, dass wir noch bis Mittag im Zimmer bleiben können. Es regnet und wir haben keine große Lust bei diesem Wetter einen Ausflug ins Valbona-Tal zu machen, wo man vermutlich eh nicht viel sehen kann.
So vertrödeln wir den Vormittag auf dem Zimmer. Ich kümmere ich um meine Arbeit und Markus macht irgendwann noch ein Schläfchen. Gegen 12 Uhr mache ich mich langsam bereit für den Aufbruch und auch Markus wacht auf und fängt an sich anzuziehen. Auf einmal Schreie aus seiner Richtung. Beim Anziehen seiner Hose oder seiner Socken ist ihm die Hexe in den Rücken gefahren. So eine Scheisse!
Markus meint, ich könne nichts für ihn tun. Jetzt helfe nichts weiter als seine Tabletten und 2-3 Tage liegen. Ich solle mich auf die Fähre auf machen und die nächsten Tage mein eigenes Programm machen. Dann treffen wir uns wieder, so der in aller Eile gemachte Plan.
Ich gebe den Angestellten vom Hotel Bescheid, dass Markus Rückenprobleme hat und noch 2-3 Tage bleiben wird und dass sie bitte ab und zu nach ihm schauen mögen und ihm was zu Essen und zu Trinken bringen.
Mit ungutem Gefühl fahre ich zum Fähranleger. Dort kläre ich mit unserem Ticketverkäufer vom Vortag, der auch auf der Fähre mitfahren wird, ob das Ticket von Markus auch noch ein paar Tage später gültig sein wird und ob sie überhaupt täglich fahren. Er hat Verständnis für die Situation und bejaht beides. Ich geben Markus die Information durch, damit er weiss, dass er von Baijram Curr auf jeden Fall mit der Fähre wegkommt, sobald es ihm besser geht. Die Alternative wäre nur ein ziemlicher Umweg über die Straße.
Ich bin der einzige Gast auf der Fähre. Kurz vor meiner Fähre fährt eine andere, die auch nur wenig Gäste befördert. Kaum zu glauben! Die Fähren hier sind ziemlich improvisiert und würden vermutlich bei einer TüV-Überprüfung sofort und endgültig aus dem Verkehr gezogen. Mit vier Mann Besatzung und einem Gast mit Motorrad geht die Fahrt über den Koman-Stausee dann irgendwann los.
Glücklicherweise gesellt sich der einigermaßen Englisch sprechende Ticketverkäufer zu mir aufs Oberdeck und so wird die etwa 3 stündige Fahrt durch das schon recht eindrucksvolle Tal recht kommunikativ. Irgendwann erzählt mir der Ticketverkäufer, dass er sich leider bei der Umrechnung von Euro in Lek bei uns um 1000 Lek vertan hätte. Und der Kapitän des Schiffes hat angekündigt, ihm das vom Lohn abzuziehen. Da mir es schon merkwürdig vorgekommen ist, wie wenig wir in Lek bezahlt hatten, gebe ich ihm die 1000 Lek noch nachträglich, obwohl ich damit mein letztes Bargeld in Lek ausgegeben habe. Bei einem Verdienst von 5 Euro pro Tag (wie er mir später noch erzählt), wäre der Verlust für ihn schon ganz schön hart. Er ist nicht allzu gut auf den Kapitän, seinen Chef, zu sprechen. Er unterstellt ihm ein Alkoholproblem, was durch die Bierflasche im Führerstand durchaus bestätigt wird.
Wir sprechen über viele verschiedene Dinge während der Fahrt. Er erklärt mir, dass die vielen Plastikflaschen, die auf dem See treiben, von den Leuten stammen, die hier wohnen, die einfach ihre Plastikflaschen in die Natur werfen und dann würden sie in den See geschwemmt. Er erzählt mir, dass er aus einer Familie mit 9 Geschwistern kommt, und im Sommer auf der halben Strecke der Fähre in einer Siedlung lebt. Im Winter lebt die Familie in Tirana. Seine Geschwister müssen 2 Stunden mit dem Boot zur Schule fahren. Dann haben sie zwei Stunden Schule und fahren wieder die 2 Stunden zurück. In der Siedlung, aus der er kommt, leben noch 8 Familien. Er bietet mit seiner Familie für Touristen auch Übernachtungen in ihrem Haus an und er verfügt auch über Kajaks, mit denen Touristen dann auf dem See umherfahren können. Er arbeitet 3 Tage auf der Fähre und hat verbringt dann eine Nacht zu Hause, um dann nach einem freien Tag wieder 3 Tage am Stück auf der Fähre zu arbeiten.
Was im Führerhaus der Fähre funktioniert: Der Iveco-Sechszylinder-Diesel, der Gashebel, das Ruder, das über ein Mercedes-Lenkrad gesteuert wird und natürlich das Signalhorn.
Zwischendurch übernimmt der Ticketverkäufer vom Kapitän auch das Ruder und zeigt mir währenddessen, was alles nicht funktioniert im Führerstand. Wir einigen uns darauf, dass es wohl einfacher ist, zu sagen, was überhaupt funktioniert. Der Iveco-Sechszylinder-Diesel, der Gashebel, das Ruder, das über ein Mercedes-Lenkrad gesteuert wird und natürlich das Signalhorn.
Nachdem ich ihm wegen des Ticketpreises aus der Patsche geholfen habe, will er mir ein Getränk oder bei Ankunft wenigstens einen Café ausgeben, aber ich lehne ab. Ich weiss nicht, wie die Straße nach Shkodra sein wird und möchte möglichst so dort ankommen, dass ich noch Euro in Lek wechseln kann. Also mache ich mich nach der Ankunft sogleich auf den Weg weiter. Vom Fähranleger geht es dazu direkt in einen in den Fels gehauen Tunnel, in dem man erst mal völlig blind um die Kurve fährt. Tunnelfahrten sind auf dem Balkan als Motorradfahrer of ein spezielles Erlebnis, fährt man doch hinein, ohne wegen der fehlenden Beleuchtung sehen zu können, wie die Bodenbeschaffenheit ist und ob sich da vielleicht irgendwelche Schlaglöcher oder andere Hindernisse befinden.
Wir erleben es während unserer gesamten Reise nicht ein einziges Mal, dass uns jemand bescheissen will.
Die Strecke zwischen Koman und Shkodra ist durchgängig asphaltiert und trotz Schlaglöcher gut zu befahren. So komme ich rechtzeitig in Shkodra an, um bei dem mir bereits bekannten Geldwechsler noch einmal 300 Euro zu wechseln. Der Wechselkurs hat sich nicht geändert, dagegen seine Geldzähltechnik. Dieses Mal zählt er mir jeweils 10000 Lek ab. Aber ich würde ihm jetzt auch schon blink vertrauen. Wir erleben es während unserer gesamten Reise nicht ein einziges Mal, dass uns jemand bescheissen will. Das ist schon erstaunlich für eine Gesellschaft, in denen es auf der anderen Seite sehr viel Korruption gibt.
Ich checke wieder im Hotel Kaduku ein, dieses Mal im Haupthaus in einem nicht ganz so plüschigen Zimmer. Dort sehe ich an der Wand im Foyer, dass der 80 jährige Eigentümer eine lange Ahnentafel hat, die meisten davon scheinen als Zahnärzte gearbeitet zu haben. Diesen Beruf konnte der jetzige Besitzer wohl nicht ergreifen, da er im kommunistischen Albanien nicht die Möglichkeit hatte, ein entsprechendes Studium im Ausland zu absolvieren.
Da ich am Abend noch etwas arbeiten und meine nächsten Tag planen muss, gehe ich zum Abendessen wieder in die Vila Bekteshi, von dem ich weiss, dass ich ein zuverlässiges Wifi vorfinde und auch vorzüglich esse.